Blaue Blüten für ein Stück Stoff

HNA- 04.05.2003
Blaue Blüten für ein Stück Stoff
Schulklasse baut wie vor 150 Jahren Flachs für die Textilherstellung an
Von Christoph Papenheim
MORINGEN. Eine neue Hose? Ein Rock? Oder ein T-Shirt? Kein Problem: Ab ins nächste Geschäft, aussuchen, anprobieren, bezahlen. Was für Schulkinder von heute eine schnell erledigte Kleinigkeit ist, war vor 150 Jahren noch mit jeder Menge Arbeit und Mühe verbunden.
Das erlebt in diesem Jahr die Klasse 5f an der Kooperativen Gesamtschule Moringen. Die 24 Schüler probieren aus, wie aus einer Hand voll Flachssamen ein Stück Stoff wird.
Schüler zogen Furche um Furche
Zum Auftakt war Feldarbeit angesagt: Auf 200 Quadratmetern Fläche, die Landwirt Jürgen Gnosa auf dem Kirchberg zur Verfügung stellte, harkten und rechten sie um die Wette. Immer zu zweit, erzählt Merle Fröchtenicht, zogen die Schüler Furchen, streuten den Flachssamen und deckten ihn ab. „Etwas anstrengend“, findet Celine Zimmerer. „Aber immer noch besser, als in der Schule zu sitzen“, ergänzt Simon Strutz schnell.
Zumal es nach der Feldarbeit ein zünftiges Frühstück im Freien gibt. Das bereiteten einige Schüler in historischen Gewändern vor. Ursprünglich sollten sich alle kostümieren. Doch mit Blick auf das unbeständige Schauerwetter erschien das zu riskant.
Dass sie an diesem Vormittag auf dem Feld arbeiten dürfen statt in der Klasse zu büffeln, verdanken die Schüler ihrer Klassenlehrerin Karin März-Meißner, dem Regionalen Umweltbildungszentrum und dem Moringer Heimatmuseum. Dessen Mitarbeiterin Gisela van Hülsen liefert den geschichtlichen Hintergrund für den Arbeitseinsatz.
Mitte des 19. Jahrhundert muss rund um Moringen alles blau von Flachsblüten geleuchtet haben. 1860 gab es bei 2000 Einwohnern noch 16 gewerblich betriebene Webstühle. Um 1900 war es nur noch ein einziger.
ie aufwändig die Textilherstellung aus Flachs ist, werden die Schüler der 5 f erst in einigen Monaten erfahren. In etwa 100 Tagen kann der Flachs gerissen, das heißt geerntet werden. Er muss getrocknet und gerottet werden, geröstet, gebrochen, gehechelt, geklopft und geriffelt.
Zum Schluss werden die Fasern dann gesponnen, um schließlich gewebt zu werden. Jedes Kind, verspricht Handarbeitslehrerin Mechthild Eymer, soll zum Lohn für die viele Arbeit wenigstens einen kleinen Flicken mit nach Hause nehmen.