Kinder lernen, dass die Wurst nicht am Haken wächst

Presseartikel 27. Mai 2008
Kinder lernen, dass die Wurst nicht am Haken wächst
Dass die Wurst nicht am Haken beim Fleischer wächst und die Milch nicht aus der Kühltheke fließt, das bringt Sven Westphal seit zwei Jahren den Kindern bei. Rauh und direkt ist der Ton des landwirtschaftlichen Leiters auf dem Schulbauernhof in Hevensen. Doch fast gerührt ist sein Ton, wenn er davon erzählt, wie Jugendliche, die nicht an sich glauben, hier einen Schuss Selbstbewusstsein bekommen.
Gut acht Jahre ist es her, dass die Idee zum Schulbauernhof geboren wurde. Vor fünf Jahren wurde die gemeinnützige GmbH Internationaler Schulbauernhof Hardegsen gegründet. Baubeginn auf der Hofstellen in der Lehmkuhlenstraße war im Herbst 2004. Die erste Klasse ist im April 2005 angereist. Seither gewinnen hier unzählige Schüler Einblicke in die Lebensmittelproduktion. Auf dem Schulebauernhof gebe es „authentisches Lernen“, beschreibet Axel Unger, Geschäftsführer der GmbH und betont, dass das Projekt damit in pädagogischer Tradition steht.
Hennen, Küken, Rinder
„Alle Reformpädagogen haben sich der Kulturarbeit in der Landwirtschaft bedient“, betont er und nennt bekannte Namen wie Rudolf Steiner und Maria Montessori. „Du kannst dein ganzes Leben organisieren durch Lernprozesse in der Landwirtschaft“, sagt Unger. Mit seinen 200 Legehennen, vier Kühen und sieben Rindern, drei Sauen, 30 Mastschweine und 70 Milchschafen – Kühe, Sauen und Schafe mit Nachzucht – ist der Schulbauernhof Lernstandort des Regionalen Umweltbildungszentrums (RUZ) Hardegsen und greift soziale, ökologische und ökonomische Aspekte im Sinne der Agenda 21 und damit für „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ auf. 3500 Kinder sind laut Unger im vergangenen Jahr auf dem Schulbauernhof gewesen. Damit sei er bis auf etwa anderthalb Monate mit etwa 30 Schülern täglich gut ausgelastet. Der Schwerpunkt liegt momentan bei den Grundschulkindern. „Unser Ziel ist es, auch in den Sekundar-Bereich zu kommen. „Denn der Schulbauernhof könne viele Lernbereiche abdecken, die dort gefordert sind, ist Unger überzeugt. Erweitert wird das Lernangebot auf den acht landwirtschaftlichen Kooperationshöfen. Vom traditionellen Mischbetrieb bis zum Hof mit reinem Ackerbau können die Schüler die Realität in der Landwirtschaft erleben. Enge Zusammenarbeit gibt es auch mit umliegenden Wirtschaftsbetrieben. Diese Verbindungen wollen Unger und Westphal für die Zukunft gerne erweitern und vertiefen. Sie betonen: Nicht nur auf dem Schulbauernhof verbringen die Schüler ihre Zeit. Sie bringen mit ihrem Taschengeld ihre Kaufkraft in die Region. In Hardegsen gehen sie in die Bäckerei, zur Eisdiele oder auch ins Freibad.
70 bis 75 Prozent der Schüler kommen derzeit aus Niedersachsen, doch allmählich steigt die Zahl der Gäste aus anderen Bundesländern. Für alle, so betont Axel Unger, seien die Bahnhöfe in Nörten- Hardenberg und Hardegsen sehr wichtig. Viele Schüler reisten bis dorthin an und würden dann mit dem Planwagen abgeholt. Im ehemaligen Bahnhofshotel in Hardegsen können 38 Schüler und vier Lehrkräfte untergebracht werden. In Diesem Jahr haben es zum ersten Mal eine Kooperation mit der Evangelischen Jugendfreizeit in Asche und privaten Beherbergungsstätten gegeben. Der Schulbauernhof hat einen Antrag gestellt, als Schullandheim firmieren zu können. Mittlerweile beschäftigt der Schulbauernhof insgesamt 15 Personen; sechs bis sieben werden nicht über Drittmittel gefördert. Gute Kontakte zur Universität gebe es bei der Ausbildung für Gymnasiallehrer in der Fachdidaktik Biologie. Der Hof ist Einsatzstelle für FÖJ-ler und ab 1. August auch Ausbildungsbetrieb. Unabdingbar für die Finanzierung des Projekts sind für den Schulbauernhof die Bildungspartnerschaften mit dem Fruchthof Northeim, Börner Eisenacher aus Göttingen und Beckers Bester in Lütgenrode. Diese Bildungspartnerschaften sind laut Unger Bestandteil eines Netzwerks zwischen regionalen Wirtschaftsakteuren in der ländlichen Region und jungen Konsumenten.
Aufbau eines Netzwerkes
Der weitere Aufbau und die Pflege des Netzwerkes, in das zukünftig auch weitere Landwirte eingebunden werden sollen, werde unterstützt durch das Projekt „Transparenz schaffen – von der Ladentheke bis zum Erzeuger“, einem landesweiten Bildungs- und Kooperationsprojekt, das im Rahmen des „Programms zur Förderung im ländlichen Raum Niedersachsen und Bremen 2007 bis 2013 – Profil“ durch das Land Niedersachsen und die Europäische Union (ELER, Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums) gefördert wird. Für seine pädagogische Arbeit ist der internationale Schulbauernhof 2007 von der Unesco als offizielles Projekt der Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen 2005 – 2014 ausgezeichnet worden.
Vision ist derzeit noch das Beiwort „international“ im Namen des Schulbauernhofs. Der Schulbauerhof hat das langfristige Ziel, jeweils eine deutsche und eine ausländische Besuchergruppe gemeinsam zu beherbergen. „Zur Zeit haben wir da eher Zufallsprodukte“, gibt Unger unumwunden zu. Bewährt haben sich bereits der gemeinsame Besuch von Schulen mit den Partnerschulen.
Beim Bundesamt für Migration hat der Schulbauernhof einen Antrag für ein gemeinsames Projekt mit sechs Bildungseinrichtungen – Schulen und Kindergärten – gestellt. Für Kinder mit Migrationshintergrund soll das Thema Ernährung zu kulturellen Unterschieden und Gemeinsamkeiten führen und so der besseren Integration der Kinder dienen.
Ökoinstitut in Hardegsen
Axel Unger (52), gebürtiger Hildesheimer, ist im Grundschulalter nach Göttingen gekommen. Nach seiner Schulzeit absolvierte er ein Lehramtsstudium in den Fächern Biologie und Chemie. Mit Freunden hat er als Student 1981 das Ökoinstitut in Hardegsen gegründet. 1992 erhielt dieses die Anerkennung als Regionales Umweltzentrum RUZ. Aus der Arbeit im Ökoinstitut wuchs die Idee, eine Bildungseinrichtung zwischen Umweltschutz, Naturschutz und Landwirtschaft zu etablieren. Die Idee zum Internationalen Schulbauernhof wurde 1999 geboren. Drei Jahre sollten es noch bis zur Gründung der GmbH dauern, im April 2005 reisten die ersten Schüler an.